Die Kraft der Inneren Bilder

Pictures in our Minds

1985 überraschte der Intermedia-Kongress mit einer Fotoausstellung ohne Fotos. Der „STERN“ als Initiatorin engagierte Michael Schirner mit der konzeptionellen und künstlerischen Umsetzung anlässlich der Messe der neuen Medien in Hamburg. Der Titel der Ausstellung „Pictures in our Minds“ bezog sich „… auf das Innere des Betrachters, seine Fantasie- und Gedankenarbeit … Die Hardware ist sein Gehirn, die Software seine Imagination, auf seiner Festplatte sind alle Bilder, die in seinem Kopf gespeichert sind.“ (Aus der Website http://www.michaelschirner.de/de/pictures-in-our-minds-1985-2013/)

Bildlicher lässt es sich nicht auf den Punkt bringen. Und es funktioniert(e). Schwarze Tafeln, die in negativer, also weißer Schrift Beschreibungen bekannter und gelernter Fotomotive formulierten – in Englisch:„The foot-print of the first man on the Moon“, oder „Albert Einstein sticking his tongue out“, „Marilyn Monroe poised over a subway air-shaft.“ Und einige andere.

Kino im Kopf

Wir kennen aus der Vergangenheit eine Vielzahl an Motiven, die sich in unsere Köpfe eingebrannt haben: Willi Brandt’s Kniefall in Warschau, das brennende World Trade Center 9/11, die Erstürmung der Berliner Mauer 1989, das Weltmeistertor von Mario Götze 2014, und und und … eindrucksvoll, erschütternd, begeisternd, und immer hoch emotional.

Spontan formen solche Sätze bzw. Hinweise die dazugehörigen Bilder. Bilder, die als Schnappschuss entstanden und im Laufe der Zeit zu Ikonen der Zeitgeschichte mutierten. Immer wieder bemüht, um bestimmte besondere Momente oder entscheidende Milestones unserer jüngeren Historie aufleben zu lassen. Diese Bilder erzählen Geschichten und Geschichte.

Ikonen der Werbung

Auch Werbung und PR bieten eine Menge eindrücklicher Ikonen. In Form von Personen, Figuren und Motiven, die ebenfalls in das kollektive Gedächtnis unserer Gesellschaft „eingepflanzt“ wurden. Echte „Reklamehelden“ (Wolfgang Hars: Lurche, Klementine & Co.), die wir teilweise mit wirtschaftlichem Aufschwung und Wohlstand gleichsetzen. Lurchi, Klementine, Camel-Mann, HB-Männchen sind bereits Geschichte, Milka-Kuh, Bausparfuchs, Mainzelmännchen, der Beck’s Dreimaster sind nach wie vor aktiv und stehen für eine klare Identität und Kontinuität der jeweiligen Marken. Sie sind Wertebotschafter und Imageträger. Sie stehen für Kontinuität in der Kommunikation mit den Ansprechgruppen. Und signalisieren damit ein Alleinstellungsmerkmal in der überbordenden Markenlandschaft.

Kult ist nicht planbar

Was macht also ein Bild, ein Motiv, eine Figur zur Ikone, zum Symbol einer Zeit, eines Moments, einer Botschaft? Wie lassen sich damit verknüpfte Vorstellungsbilder im kollektiven Gedächtnis einer Gesellschaft verankern?

Zunächst einmal sollte jedem Bildschaffenden klar sein: Ikonen sind nicht planbar. Ob sich ein Bild, ein Motiv, eine Figur tatsächlich zur Ikone, zum allgemein gültigen, anerkannten und verstandenen Symbol manifestiert, wird nicht spontan entschieden, sondern entwickelt sich mit den gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen Umständen. Manche Motive werden erst Jahre später Kult. Viele erst dann, wenn sie gar nicht mehr aktiv sind. Oder sie verlieren ihren Status einfach nicht.

Gerald Hüther beschreibt das Festlegen innerer Bilder folgendermaßen:
Die „… einmal entwickelten Haltungen und Überzeugungen [jedes Einzelnen] sind dann als so starke innere Bilder in ihrem Frontalhirn verankert, dass sie den Abruf und damit den Abgleich einzelner, oft sogar aller anderen … bereits angelegten Wahrnehmungsbilder verhindern. Sie lassen sich dann im wahrsten Sinn des Wortes durch nichts mehr beeindrucken.“

Aus Vorstellungsbildern können Ikonen werden.

Dafür bedarf es elementarer Grundvoraussetzungen, die allen „Kultmotiven“ gemeinsam sind: Sie sind höchst emotional und reflektieren ein bestimmtes Lebensgefühl oder einen besonderen Moment der Geschichte. Sie sind authentisch, werden als glaubwürdig wahrgenommen. Wir identifizieren uns mit ihnen, sie spiegeln unsere tiefsten Sehnsüchte wider. Sie lassen uns träumen.

Auf Dauer leben wir nicht nur mit ihnen, sondern sie spielen eine entscheidende Rolle bei unseren Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozessen.
Sie entstehen in Hirnregionen, die auch beim Sehen von realen Bildern aktiv sind. Wir können sogar mehr damit „anstellen”: Unsere Kreativität wird durch unsere eigene Vorstellungskraft, Fantasie oder Imagination angeregt – man visualisiert Dinge, die quasi erst noch entwickelt werden.

„Innere Bilder können über das reine Wiederherstellen von Gesehenem hinausgehen und über Kreativprozesse neue Bildinhalte entstehen lassen – eine der entscheidenden Eigenschaften von Kreativität. Die Werbung kann durch das Bild eines Porsche zusätzlich das innere Bild vom neidischen Nachbarn entstehen lassen. Innere Bilder wirken über das Gesehene hinaus.” (Prof. Dieter Herbst, Corporate Imagery).

Die Bedeutung innerer Bilder:
(nach Prof. Dieter Herbst)

  • Wir träumen in Bildern; meistens können wir unsere Träume aufgrund der erlebten und „gesehenen” Bilder morgens wieder abrufen.
  • Wir erinnern in Bildern und können uns so in frühere Erlebnisse zurück und hinein versetzen.
  • Wir orientieren uns mittels Bilder, in dem wir uns einen beschriebenen Weg vorstellen; dies fällt natürlich einfacher, wenn wir die Gegend bereits kennen.
  • Wir entscheiden schneller und sicherer, weil wir bestimmte Sachverhalte mit inneren Bildern verknüpfen.
  • Innere Bilder lösen Gefühle in uns aus und fesseln unsere Aufmerksamkeit.

Laut einer Studie von Dr. Eric Klinger „… bewegen wir uns bis zu 40 Prozent unserer Wachzeit in Vorstellungsbildern … Fantasiebilder, Vorstellungsbilder und Tagträume sind so normal und universell, dass sich die meisten Menschen darüber gar nicht bewusst sind, dass sie sich täglich diesem Vergnügen ausgiebig hingeben.” (in: Mario Pricken, Visuelle Kreativität)

Die „Persönlichkeit“ innerer Bilder:
(nach Prof. Dieter Herbst)

  • Ihre Zugriffsfähigkeit: Innere Bild sind unverzüglich verfügbar, wenn uns zum Beispiel am Regal eine starke und präsente Marke begegnet.
  • Ihre Lebendigkeit und Klarheit: Die sogenannte „Vividness” innerer Bilder ist die wichtigste, weil verhaltenswirksamste Dimension innerer Bilder. Lebendigkeit und Klarheit gelernter Markenbilder wirken einfach stärker auf den Entscheidungs- und Kaufprozess.
  • Ihre Anziehungskraft: Die Wirkung innerer Bilder zeigt sich in der Korrelation aus Lebendigkeit und Anziehungskraft: Je lebendiger und klarer ein Unternehmen bzw. eine Marke auftritt, umso stärker reagieren die Interessenten, umso anziehender wirkt das Unternehmen oder die Marke.
  • Ihre Aktivierungsstärke: Sie ist das Maß der inneren Erregung. Je komplexer, reichhaltiger, neuartiger, informativer und intensiver sich die Marke ausdrückt, umso aktiver reagieren wir darauf.
  • Ihre Vertrautheit: Einen starken Impuls lösen innere Bilder aus, die uns nah und vertraut sind; sie aktivieren stärker und sind verhaltenswirksamer als Bilder, die wir nicht kennen oder nicht mögen.

Innere Bilder entstehen nicht alleine durch visuelle Reize – auch auditive, olfaktorische, gustatorische und kinästhetische Auslöser lassen Bilder in unseren Köpfen entstehen.

„Das Erschaffen innerer Bilder in den Köpfen der Nutzer wird zum Differenzierungsfaktor im Wettbewerb.“ (chris toscha concept)

Quellen, Zitate, Literaturempfehlungen:

  • Website http://www.michaelschirner.de/de/pictures-in-our-minds-1985-2013/
  • Anja Hornborstel – Bilder, die Geschichte machten. Ikonen der Zeitgeschichte; Akademische Arbeit; GRIN-Verlag 2011, eBook
  • Prof. Dieter Herbst – Corporate Imagery; Cornelsen-Verlag, 2004, 1. Auflage
  • Gerald Hüther – Die Macht der inneren Bilder; Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, 9. Auflage 2015
  • Wolfgang Hars – Lurche, Klementine & Co.; Fischer Verlag, 2001
  • Mario Pricken – Visuelle Kreativität, Verlag Hermann Schmidt, 2. Auflage 2004

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Gelernter „Designer Visuelle Kommunikation (FH)“, mittlerweile begeisterter Konzeptioner und Texter für Corporate Identity-Konzepte, inklusive Corporate Image-Aufbau und Markenführung.